Studium EKIW ®

Lichtblick Nr. 2 (November 1997)

Damit du hast, gib allen alles - Wie der Heilige Geist das Denksystem des Ego korrigiert

Gloria und Kenneth Wapnick

In Ein Kurs in Wundern heißt es, daß das Ego zuerst spricht und immer unrecht hat, während der Heilige Geist die Antwort ist und nur für die Wahrheit spricht. Da der Heilige Geist mit Hilfe von Gegensätzen lehrt – was die wirksamste Art ist, innerhalb einer Welt der Dualität die Wahrheit zu lehren –, wollen wir uns zu Anfang mit dem ersten Grundsatz des Egodenksystems der Trennung beschäftigen, der lautet: Damit du hast, nimm allen alles. Wie es für jeden Egogedanken gilt, läßt er sich am besten in seinem ursprünglichen ontologischen Zusammenhang verstehen: unserem Glauben, daß uns tatsächlich das Unmögliche gelungen ist und wir uns von Gott, unserem Schöpfer und unserer Quelle, getrennt haben. Jesus erläutert im Textbuch, daß alle Fehler, die jemals begangen wurden, in diesem ersten Irrglauben enthalten sind, der als die winzig kleine Wahnidee aufzutreten schien, mit der der Traum seinen Anfang nahm:

Das winzige Sekündchen Zeit, in dem der erste Fehler gemacht wurde – und alle anderen in diesem einen Fehler –, enthielt auch die Berichtigung für diesen einen und für alle, die innerhalb des ersten kamen (T-26.V.3:5).

Auf die Berichtigung, wie sie der Heilige Geist vornimmt, werden wir an späterer Stelle in diesem Artikel eingehen. Zunächst möchten wir erläutern, welche Formen die winzig kleine Wahnidee angenommen haben kann: »Ich bin nicht, wie Gott mich schuf, weil ich mich selbst erschaffen habe. Ich bin nämlich meine eigene ›Erste Ursache ‹ und nicht Gottes Wirkung« »Tatsächlich bin ich«, so rühmt sich das Ego, »der Ursprung aller Schöpfung und der Gott, der sie hervorgebracht hat.« Das Ziel des Egodenksystems lautet also, ein Gegenteil zum Himmel zu gestalten, dadurch daß das Ego dem wahren und lebendigen Gott die Macht aller Schöpfung stiehlt. Und daher läßt sich die Maxime des Ego – das seiner Existenz zugrundeliegende Prinzip – so umformulieren: Damit du alles hast, nimm es von allem. Vergegenwärtigen wir uns hier, daß der Wahnsinn des Ego nur auf der gedanklichen Ebene innerhalb des Geistes auftritt, der nun getrennt zu sein scheint.

Wir wollen noch einmal die Überzeugungen aufführen, die das Ego mit seinem Denksystem jetzt innerhalb des Geistes hervorgebracht hat mit der Behauptung, diese Aussagen seien wahr:

1. Es hat die Erste Ursache (Gott) und Ihre Wirkung (Christus) sowie das Einssein des Himmels vernichtet.
2. Es kann Gedanken getrennt von Gott denken.
3. Es hat sich selbst erschaffen.
4. Es hat ein Reich gemacht, das das Gegenteil des Himmels und ein Ersatz für ihn ist.

Und in seinem verzerrten Denken glaubt das Ego, das Unmögliche dadurch in die Tat umgesetzt zu haben, daß es »alles von allem« genommen hat. Als Ergebnis dieses Wahnsinns behauptet das Ego nun, daß es alles hat und alles ist.

Die letzte Folge der winzig kleinen Wahnidee war es, den Angriff auf Gott zu projizieren. Damit wurde er in einen rachsüchtigen Gott verwandelt, der gefürchtet werden muß. Die Projektion des Angriffs und Trennungsdenkens – zusammen mit der damit verbundenen Schuld und Angst – aus dem Geist heraus führte zur Entstehung des physischen Universums und des Traums, den wir Leben nennen, in dem sämtliche Wahrnehmung ihren Anfang nimmt. Haben, Sein, Geben und Empfangen werden nun als völlig verschieden voneinander und als Gegenteil vom Zustand des Himmels wahrgenommen, wo sie in Wahrheit als ein Gedanke vereinigt sind.

Die Traumwelt des Ego von Raum und Zeit, Trennung und Angst, Haß und Angriff ist somit – um auf diesen wichtigen Punkt noch einmal hinzuweisen – das Resultat dessen, daß der Geist das wahnsinnige Angriffsdenken auf den wahren, lebendigen Gott projiziert und daß er glaubt, der Himmel könne durch eine »Macht über der Allmacht« (T-29.VIII.6:2) zerstört werden. Das sichtbare Universum funktioniert nach dem Egoprogramm namens Angriff. Und so ist alles, was in dem Traumzustand zu geschehen scheint, den wir die Welt nennen, bloß eine Wirkung des Angriffsdenkens, das daraus folgt, wenn die winzig kleine Wahnidee gehegt, zu einer ernsten Idee gemacht und als »sowohl der Umsetzung als auch realer Wirkungen fähig« (T-27.VIII.6:3) angesehen wird. Der überwältigende Egoalptraum von Sünde, Schuld und Angst führt zwangsläufig dazu, daß wir diese Gedanken vergraben, um uns vor der schrecklichen Angst zu schützen, die sie zur Folge haben. Und so hat das Ego einen Teil des Geistes – das Unbewußte – ersonnen, wo all diese Gedanken verborgen werden konnten. Doch müssen wir uns vergegenwärtigen, daß das Verdrängen, Verbergen oder Verleugnen dieser Alptraumgedanken zwar dazu führt, daß man sie offensichtlich vergißt; dennoch haben sie eine außerordentliche Wirkung im Traum von Zeit und Raum. Es ist ein Gesetz des Egogeistes, daß ein Gedanke, der verleugnet wird, automatisch aus dem Geist hinausprojiziert wird. Als Resultat dieser Projektion ist, wie gesagt, ein Universum der Trennung entstanden, in dem all die sogenannten lebendigen Figuren in dem Traum voneinander getrennt gehalten werden, programmiert auf Angriff und ihres Ursprungs im Egogeist nicht gewahr. Indem das Ego die Trennung von Haben und Sein vollzogen hat, wodurch unsere wahre Identität als Christus verleugnet wird, der alles ist und alles hat, ist es dem Ego scheinbar gelungen, seine eigene getrennte Existenz sicherzustellen. Damit wird unsere Rechtgesinntheit zugedeckt, die die Berichtigung des Heiligen Geistes enthält.

Ein weiterer Aspekt des Egotraums ist das Mangelprinzip, »das über die gesamte Welt der Illusionen herrscht« (Vorwort zu Ein Kurs in Wundern, S. XI). Dabei handelt es sich um den Glauben, es mangele oder fehle uns an etwas. In Ein Kurs in Wundern werden die individuellen Äußerungen dieses Prinzips als das Bedürfnis nach besonderen Beziehungen beschrieben. Dem Egodenksystem zufolge sind wir Körper und haben nicht das, was für unser Überleben notwendig ist. Deshalb müssen wir außerhalb von uns suchen, um den Mangel, den wir im Inneren wahrnehmen, auszugleichen. Wir können diesen beunruhigenden Mechanismus sowohl auf der grobstofflichen Ebene wie auch auf der psychischen Ebene unserer Existenz am Werke sehen.

Kein »Lebewesen« im Universum kann existieren, wenn es nicht seine Fürsorge und Nahrung von außen bezieht, um die fehlende Ernährung von innen zu kompensieren. Aufgrund des Mangelprinzips, des Gesetzes der Egowelt, kann man niemals genug von dem bekommen, was man braucht. Auf der Ebene unseres psychischen Überlebensdrangs, womit sich der Kurs in den besonderen Beziehungen schwerpunktmäßig beschäftigt, funktioniert der Mechanismus des Damit du hast, nimm allen alles so: Ich glaube, daß in mir ein Mangel besteht, den Gott nicht stillen, ein Bedürfnis, das er nicht befriedigen kann, daß es jedoch einen ganz bestimmten besonderen Menschen mit ganz bestimmten besonderen Eigenschaften gibt, der dazu imstande ist. Und indem ich mich mit diesem Menschen »verbinde«, bin ich imstande, mir das zu nehmen, was ich brauche und es dem »anderen« somit wegzunehmen. Dies wird in dem wichtigen Abschnitt über »Die Gesetze des Chaos« mit folgenden Worten zusammengefaßt:

Für das Ego ist nur wertvoll, was es nimmt. Und das führt zum vierten Gesetz des Chaos … [der] Überzeugung, daß du hast, was du genommen hast. Dadurch wird der Verlust des anderen dein Gewinn … (T-23.II.9:1-4).

Daraus muß ein logischer Schluß folgen, denn innerhalb meines Egosystems der Besonderheit kann ich niemals glauben, daß der andere Mensch mir wahrhaft geben wird, was ich will, es sei denn, ich bezahle ihn dafür. Schließlich besitze ich das, was ich besitze, weil ich es gestohlen habe, und daher ist Diebstahl das Gesetz des Egoreichs. Ich muß zwangsläufig glauben, daß mein besonderer Liebes- oder Haßpartner auch stiehlt. In der folgenden Passage wird dieser Mechanismus in seinem eigentlichen ontologischen Zusammenhang dargestellt:

Da das Ego der Teil deines Geistes ist, der nicht für sich selber verantwortlich zu sein glaubt, und da es ohne Treue gegenüber Gott ist, ist es nicht fähig, zu vertrauen. Indem es seine wahnsinnige Überzeugung, daß du deinen Schöpfer verraten hast, projiziert, glaubt es, daß deine Brüder, die dessen ebenso unfähig sind wie du, darauf aus sind, dir Gott wegzunehmen. Jedesmal, wenn ein Bruder einen anderen angreift, ist es genau das, was er glaubt. Die Projektion sieht deine Wünsche immer in anderen. Wenn du beschließt, dich von Gott zu trennen, dann wirst du denken, daß andere dir das antun (T-7.VII.9).

Da ich jetzt davon ausgehe, daß der andere mein Feind ist, kann ich das, was ich brauche und will, nur bekommen, wenn ich nach einem weiteren Egogesetz verfahre, das lautet »Geben, um zu bekommen« (T-4.II.6:5). Will ich mein Ziel der Bedürfnisbefriedigung erreichen, damit ich überleben kann, muß ich dem anderen etwas im Austausch dafür geben. Das ist das Abschließen eines Handels, das Hauptcharakteristikum des Egodenksystems der Besonderheit. Und wenn ich meine Egokarten richtig ausspiele, gebe ich dem anderen so wenig wie möglich und bekomme so viel, wie es geht. Aus Platzgründen können wir hier nicht weiter auf diesen Egomorast aus Haß, Doppelzüngigkeit und Diebstahl eingehen. Es mag genügen, daß keine einzige Form des »Lebens« im Traum der Welt diesem Mechanismus der Besonderheit und dem ersten Egogesetz entgeht, das da lautet: »Nehmen, um zu haben«. Die Formen, in denen sich dieses Gesetz äußert, sind irrelevant, weil der ihnen zugrundeliegende Inhalt des Stehlens immer derselbe bleibt, eine Illustration des Egoglaubens, daß die Erlösung in getrennten Interessen besteht.

Wir kommen nun zu der Berichtigung des Heilige Geistes für das den gesamten Traum durchziehende Prinzip: Damit du hast, nimm allen alles. Der Heilige Geist beginnt daher mit der Lektion: Damit du hast, gib allen alles. Wir sollten uns, wie gesagt, vergegenwärtigen, daß sich diese Berichtigung nur auf die gedankliche Ebene – den Geist – bezieht, wo die Quelle des Problems liegt, und überhaupt nichts mit der Verhaltensebene – dem Körper – zu tun hat, die den Versuch des Ego darstellt, das Problem von der Antwort fernzuhalten.

Während die Lektion des Ego das Denksystem der Trennung verstärkt und der Sinn anderer hier nur darin gesehen wird, unsere eigenen Bedürfnisse zu erfüllen, lehrt der Heilige Geist, daß der Weg, uns an unser Einssein als Christus im Himmel zu erinnern, darin besteht, diese Einheit hier in unserem täglichen Leben und unseren Beziehungen zum Ausdruck zu bringen. »Die Heilung deines Bruders als die Heilung deiner selbst wahrzunehmen ist so der Weg, dich an Gott zu erinnern« (T-12.II.2:9). Wir tun dies, indem wir unsere Interessen nicht als getrennt von denen eines anderen sehen (H-1.1:2). Dazu ist erforderlich, daß wir es aufgeben, die Autoren unserer Gedanken zu sein, und es dem Heiligen Geist und seiner Berichtigung der Vergebung erlauben, an die Stelle der Selbstsucht und Gier des Ego zu treten. Diese wichtige Veränderung wird in Ein Kurs in Wundern an verschiedenen Stellen thematisiert:

Die Erlösung ist ein Unterfangen, das auf Zusammenarbeit beruht (T-4.VI.8:2).

Auch werdet ihr eure Augen gemeinsam im Glauben erheben oder gar nicht (T-19.IV.-D.12:8).

In die Friedensarche treten immer zwei zusammen ein ... (T-20.IV.6:5).

Eine rechtgesinnte Herangehensweise, die uns Ein Kurs in Wundern eindringlich nahelegt, besteht darin, unser Leben als Schule zu betrachten, in der Jesus und der Heilige Geist uns lehren, daß wir, ebenso wie wir als ein Sohn im Himmel vereinigt sind, wo Haben oder Sein dasselbe sind, auch auf Erden durch unser gemeinsames Bedürfnis, aus dem Egoalptraum der Trennung zu erwachen, vereinigt sind.

Hier stellt sich eine wichtige Frage: Wie können wir in der Traumwelt des Ego leben, in der Trennung und Mangel unsere hauptsächlichen Erfahrungen sind, und dennoch in der Lage sein, die Lektion des Heiligen Geistes zu lernen, daß wir keine getrennten Interessen haben? Die Antwort liegt darin, daß wir lernen, eine Seinsweise in der Welt zu akzeptieren, die das Denken seiner ersten Lektion zum Ausdruck bringt: Damit du hast, gib allen alles. Wie Jesus im Kurs sagt, ist diese erste Lektion am schwierigsten, weil sie die Umkehrung des gesamten Egodenksystems darstellt, das in der Welt wirksam ist. Ein falschgesinntes Ego kann unmöglich verstehen, wie man diese Lektion beginnen, üben oder vollenden kann. Doch werden wir in Ein Kurs in Wundern daran erinnert, daß »es für den Heiligen Geist keine Rangordnung der Schwierigkeiten gibt« (T-6.V-A.4:1), da alle Probleme Manifestationen eines einzigen Problems sind: daß wir an Trennung bzw. an getrennte Interessen glauben.

Wenn wir »zurücktreten und ihn vorangehen lassen « (Ü-I.155), werden wir anfangen festzustellen, daß wir gedacht werden. Das bedeutet, daß nicht wir länger der Ursprung unseres Denkens sind, sondern die berichtigenden Gedanken des Heiligen Geistes durch uns hindurchfließen. Während wir uns darin üben, diese Gedanken der Berichtigung anzunehmen, besteht unsere hauptsächliche Verantwortung darin, unseren Geist zu beobachten, um festzustellen, wann wir entscheiden, wieder zur Falschgesinntheit überzuwechseln und auf die Täuschungen des Ego zu hören. Daher müssen wir nicht herausfinden, wie diese scheinbar unmögliche Umkehr geschieht. Es übersteigt unsere Möglichkeit, sie zu verstehen, geschweige denn sie zu bewirken. Wie Jesus lehrt:

Von dir wird nur verlangt, der Wahrheit Platz zu machen. Von dir wird nicht verlangt, etwas zu tun oder zu machen, was dein Verständnis übersteigt. Das einzige, was von dir erbeten wird, ist, sie einzulassen; nur aufzuhören, das zu behindern, was von selbst geschieht … (T-21.II.7:6-8).

Nur durch einen Wandel in unserem Denken, der die Entscheidung ausdrückt, anstelle des Ego Jesus oder den Heiligen Geist unseren Lehrer sein zu lassen, können wir mit dem Prozeß beginnen, in unserer wahnsinnigen Welt der Träume einen vernünftigen Sinn und Zweck zu finden. Wenn wir dann urteilen, kritisieren oder in jemandem Fehler sehen, wenn wir uns ungerecht behandelt fühlen und glauben, daß unser Schmerz oder Unbehagen die Wirkung der Angriffe anderer ist, müssen wir uns in Erinnerung rufen, daß einen anderen anzugreifen oder zu beschuldigen heißt, uns selber anzugreifen oder zu beschuldigen. Die Sohnschaft Gottes ist, wie gesagt, eins – im Himmel und auf Erden –, und so ist das, was wir in anderen wirklich machen, das, was wir für die Wahrheit über uns selbst halten. Sie aus dem Himmelreich auszuschließen heißt, uns selber auszuschließen, da wir nicht getrennt voneinander sind.

Höchst wichtig ist, daß von uns nicht verlangt wird, das allein zu tun. Uns wird sehr direkt gesagt, daß wir es überhaupt nicht allein tun können. Vielmehr werden wir als Schüler von Ein Kurs in Wundern darum gebeten, die kleine Bereitwilligkeit aufzubringen, uns lehren zu lassen, daß wir von uns aus nichts wissen und deshalb mit allem, was wir glauben, und jedem Wert, an dem wir festhalten, unrecht haben. Vor allem gilt es daher zu begreifen, daß es uns niemals Glück oder Frieden bringen wird, auf Kosten eines anderen zu gewinnen. »Es gibt keine Triumphe in der Liebe« (T-16.IV.5:1), lehrt Jesus uns, und so ist jeder Nutzen, für den jemand bezahlt, über den wir im Spiel der Besonderheit triumphiert haben, für uns letztendlich wertlos. So erklären wir dann schließlich Jesus voller Freude, wie dankbar wir sind, daß er recht und wir unrecht hatten. Nehmen wir nun seine Hand anstelle der Hand des Ego, hat unsere Reise nach Hause begonnen, und wir sind erfüllt von der Zuversicht, die aus den folgenden Gedanken im Textbuch spricht:

Da sie jedoch den ersten Schritt getan haben, wird ihnen geholfen werden. Wenn sie sich erst einmal für das entschieden haben, was sie alleine nicht vollenden können, sind sie nicht mehr allein (T-6.V.-A.6:8-9).

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